Weinen des Kindes
Mitten am Tag.
Die Wolken stehen still, regungslos grau,
achtsam lauschend, sorgsam horchend,
gefühlvoll spürend den Kummer.
Siehe da,
Verloren im Ozean der Sorgen.
Verzweifelte Schreie der Ohnmacht.
Schluchzende Rufe nach Vater und Mutter.
Dann,
der Himmel lenkt ein mit seinem Sein.
Tief berührt, väterlich wärmend das Kind.
behutsam atmend mit haltenden Händen.
Tröstende Worte, Tränen der Liebe.
Gemeinsames Leid und Einigkeit.
Ein Augenblick der Ewigkeit.
Das Weinen verstummt.
Ein Lächeln blüht auf.
Bunte Blumen glücklich vergnügt, schauen zu.
Grashalme danken geschwind dem Wind.
Die dicken Zypressen tanzen sanft Hand in Hand.
Der Himmel klart auf.
Das Spiel des Seins nimmt seinen Lauf.
Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt
es ins Gestirn und giebt das Maß des Abstands
ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod
aus grauem Brot, das hart wird, – oder läßt
ihn drin im runden Mund, so wie den Gröps
von einem schönen Apfel? . . . . . . Mörder sind
leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,
den ganzen Tod, noch vor dem Leben so
sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,
ist unbeschreiblich.
Aus:
Rainer Maria Rilke, Duineser Elegie 4